US Handelsvertreterrecht

Einleitung:
Dieser Aufsatz soll erste nützliche Praxishinweise zum US Handelsvertreterrecht vermitteln und beschreiben, wie derartige Vertriebsvereinbarungen in den USA strukturiert und vereinbart werden. Des Weiteren werden einige Normen und Standardbegriffe des US Handelsvertreterrechts – teilweise im Vergleich mit entsprechenden deutschen Normen – erläutert. Die einschlägigen Normen und die US-amerikanische Rechtspraxis in Verbindung mit den wirtschaftlichen Vorgaben und Erwartungen der Parteien beeinflussen den Aufbau und die Erstellung des Vertriebsvertrages ungemein. Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum mit Interesse für internationales Handelsrecht können somit anhand dieses Kurzberichts erste Eindrücke und Hinweise in Hinblick auf die Rechtssicherheit bei Expansionsvorhaben in die USA erlangen.

1. Rechtsquellen des US Handelsvertreterrechts.
Die USA verfügt über ein einheitliches Handelsgesetzbuch, den sogenannten Uniform Commercial Code („UCC“). Der UCC regelt jedoch nicht das Handelsvertreterrecht. Das US Handelsvertreterrecht wird hauptsächlich aus den einschlägigen Normen des Common Law bzw. den Präzedenzfällen (Musterfälle, die zum Maßstab für zukünftige gerichtliche Entscheidungen werden) abgeleitet. Die Systematik des Rechts, die Ermittlung der einschlägigen Normen und die Subsumption des konkreten Sachverhalts unterscheiden sich im US Handelsvertreterrechts daher deutlich vom deutschen Rechtssystem. Das Handelsvertreterrecht in Deutschland und der EU ist systematischer und leichter ermittelbar. Dies hängt damit zusammen, dass die EU eine Richtlinie, die „Commercial Agent Directive“ (86/653/EEC), erlassen hat, welche durch alle Mitgliedstaaten ins nationale Recht übernommen wurde. In Deutschland findet man die Normen dieser Richtlinie, neben ergänzenden speziellen Normen, zentral im deutschen Handelsgesetzbuch („HGB“).

2. „US Agency Law“ (US Vertretungsrecht).
Die rechtliche Bedeutung und die Rechtsfolgen eines US Handelsvertreterverhältnisses können nach dem in den USA als „Agency Law“ bezeichneten Rechtsgebiet ermittelt und subsumiert werden. „Agency Law“ wird hier hilfsweise mit dem Begriff „US Vertretungsrecht“ übersetzt. Die Regelungen des US Vertretungsrechts beinhalten vier Kernbereiche: 1) Wurde ein Auftrag erteilt und umfasst dieser Auftrag auch eine Bevollmächtigung (wirksame Vertretung)?, 2) Welche (Treue)Pflichten gelten zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber?, 3) Welche Rechte und Pflichten aus Verträgen entstehen gegenüber Drittparteien, die mit dem Vertreter Geschäfte anbahnen bzw. abschließen?, und 4) Unter welchen Umständen entsteht eine Zurechnungshaftung für unerlaubte Handlungen des Vertreters? Kann ein Geschäftsverhältnis in den USA auf Grund des Inhalts des Vertriebsvertrages nicht als „Agency“ Verhältnis subsumiert werden, dann entfallen diese Fragen im Regelfall.
Hinsichtlich der vorgenannten Kernbereiche des US Vertretungsrechts können zu den deutschen Normen im Bereich der Vollmacht (vgl. §§164 ff. BGB, §§ 54, 55 HGB), der Dienstverträge (vgl. §§ 611 ff. BGB), der Grundsätze von Treu und Glauben (§§ 157, 242 BGB), konkludenter Treuepflichten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, dem allgemeinen Schuldrecht und dem Deliktsrecht (vgl. §§ 278 i. V. m. 823, 831 BGB) Parallelen gezogen werden.

Handelsvertreterverträge beinhalten gewöhnlich einen Auftrag. Der Vertreter in den USA wird entweder zum Vermittlungsvertreter oder zum Abschlussvertreter bestellt („appointed“), vgl. § 84 HGB. Insofern entsteht ein „Agency“ Verhältnis zwischen dem Auftraggeber in Deutschland und dem Vertreter vor Ort. Die rechtlichen Auswirkungen sind mit einem Vermittlungsvertreter in den USA deutlich geringer als mit einem Abschlussvertreter. Der Vermittlungsvertreter wird in der Praxis als „Sales Representative“ bezeichnet. Der Sales Representative kann lediglich Bestellungen und Angebote zum Vertragsabschluss entgegennehmen und an das ihn beauftragende Unternehmer weiterleiten. Ein wirksamer Vertragsabschluss mit dem Geschäftspartner kann in diesem Fall nur unmittelbar durch den Unternehmer erfolgen. Demgegenüber wird der bestellte Abschlussvertreter in den USA mit dem Begriff „Sales Agent“ bezeichnet, welchem weitergehende Befugnisse eingeräumt werden. Es sei angemerkt, dass für rechtliche Zuordnungen nicht alleine der Vertragsname genügt, sondern der Inhalt des Vertrages und wie die Geschäftsbeziehung zum Sales Representative bzw. zum Sales Agent tatsächlich umgesetzt wird, von großer Bedeutung sind.

3. Schnittstelle des US Vertretungsrecht zum US Arbeitsrecht.
Ein weiteres wichtiges Merkmal ist, ob es sich bei dem Handelsvertreter in den USA um einen selbständigen Unternehmer handelt, oder ob Tatbestandsmerkmale der Scheinselbständigkeit vorliegen. Die Rechtsfolgen der Scheinselbstständigkeit bestehen darin, dass der vermeintlich selbständige Handelsvertreter zum Arbeitnehmer umgedeutet wird. In den USA werden die Begriffe „independent contractor“ für einen selbständigen Unternehmer und „employee“ für einen unselbständigen Angestellten verwendet. Das US Recht beinhaltet klare Tatbestandsmerkmale für die Abgrenzung des „independent contractors“ vom „employee“. Es wird hier vorrangig auf Kontrolle, Weisungsrechte und Überwachung durch den Auftraggeber abgestellt. Je höher der Grad der Weisungsrechte des Auftraggebers an den US Handelsvertreter ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Handelsvertreter ein employee, also ein Arbeitnehmer, und kein selbständiger Unternehmer ist. Dies ist wieder mit dem deutschen Recht vergleichbar: Auch nach § 84 I HGB muss das Tatbestandsmerkmal der Selbständigkeit vorliegen.

In den USA ist es aus Haftungsgründen überwiegend Absicht der Parteien, dass der Handelsvertreter als „independent contractor“ eingeordnet wird. Der Vertrag muss daher immer Bestimmungen enthalten, die diese Rechtszuordnung verdeutlichen und klarstellen. Die Parteien müssen diese Bestimmungen auch umsichtig beachten, denn ein widersprüchliches tatsächliches Verhalten kann dazu führen, dass die Geschäftsbeziehung, ungeachtet des Vertragsinhalts, zu einem „Employee“ Verhältnis umgedeutet wird. Eine solche Umdeutung kann zu ungewollten Rechtsfolgen führen. Diese können beispielsweise Zurechnungshaftung („vicarious liability“) für Ansprüche aus unerlaubter Handlung („respondeat superior doctrine“) vgl. §§ 278, 823 BGB, nachträgliche Sozialabgaben und Lohnsteuerabführungspflichten gemäß dem US-Sozialrecht, sowie Bußgelder und Zinsen sein.

4. Ausgleichsansprüche und Karenzentschädigung in USA?
Häufig wird die Frage gestellt, ob Ausgleichsansprüche und Karenzentschädigungen im Falle einer Beendigung der Zusammenarbeit mit dem Handelsvertreter in den USA entstehen. Die Regelungen des US-amerikanischen Rechts sind in dieser Hinsicht für den beauftragenden Unternehmer günstiger als die Regelungen des deutschen Rechts. Im US-amerikanischen Recht gibt es weder einen mit §89b HGB vergleichbaren Ausgleichsanspruch, noch eine mit §90a I HGB vergleichbare, zwingende Karrenzentschädigung im Falle der Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots. Findet jedoch auf den Handelsvertretervertrag mit dem US Handelsvertreter deutsches Recht Anwendung, sollte überlegt werden, ob die entsprechenden deutschen Schutzvorschriften vertraglich ausgeschlossen werden, vgl. §92c HGB.

5. Steuerwirkung.
Maßgebend für die Besteuerung unternehmerischer Tätigkeiten deutscher Unternehmen in den USA ist meistens das Doppelbesteuerungsabkommen USA-Deutschland (DBA). Gemäß der Vorschriften des Artikel 5 DBA wird eine steuerlich relevante Betriebsstätte (permanent establishment) eines deutschen Unternehmens nicht alleine deshalb begründet, weil das Unternehmen in den USA seine Tätigkeit durch einen unabhängigen Vertreter ausübt. Entscheidend ist, ob der Vertreter im Rahmen seiner ordentlichen Geschäftstätigkeit handelt. Auch aus Gründen der Steuerplanung kommt daher der Strukturierung und Ausgestaltung des Handelsvertretervertrags nochmals besondere Bedeutung zu.

Fazit:
Deutsche Unternehmen können durch einen US Handelsvertreter in die USA expandieren. Kenntnisse im US Handelsvertreterrecht und im US Vertriebsrecht sind bei der Anbahnung und Strukturierung der Expansion unabdingbare Voraussetzung. Vor allem müssen dem deutschen Unternehmen die Unterschiede zwischen dem Sales Agent und dem Sales Representative sowie zwischen dem Independent Contractor und dem Employee geläufig sein. Dieser Kurzbericht sollte erste Einblicke zu diesen Unterschieden und deren Bedeutung vermitteln. Abschließend sei angemerkt, dass neben dem Handelsvertreter auch andere Vertriebsarten in den USA möglich sind. Weitere Informationen zum US-Handelsrecht und Vertriebsmöglichkeiten in USA finden Sie hier: Vertriebsrecht und Handelsrecht in USA.

Als US-Amerikaner mit doppelter anwaltlicher Zulassung in den USA und in Deutschland ist Carlos Galaniuk hervorragend geeignet, mittelständische Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum bei ihren Vertriebsvorhaben in den USA und im Bereich des internationalen Handelsrechts zu unterstützen. Dieser Aufsatz stellt keine Rechtsberatung dar.

© 2015 Carlos Galaniuk